SLOW FOOD – GENUSS MIT BEWUSSTHEIT

Genussvoll in den Apfel beißen – und wissen, woher der Apfel kommt

Slow Food verbindet Genuss mit Bewusstheit

Mindestens dreimal am Tag, bei jeder Mahlzeit, treffen wir eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen: Von welchem Feld kommt das Gemüse, das wir essen? Von welcher Kuh die Milch die wir trinken? Wie hat das Tier gelebt, dessen Fleisch wir konsumieren? Es erfordert ein gewisses Maß an Bewusstheit, sich diese Fragen zu stellen, wahre Antworten zu finden und mit den Konsequenzen zu leben. Möglicherweise müssen wir dafür Bequemlichkeiten aufgeben und unser Konsumverhalten ändern. “Wenn wir an unser Essen bewusst herangehen, können wir es nicht aus dem Kontext gerissen betrachten”, sagt Mariusz Rybak von Slow Food Deutschland e.V. “Denn es ist tatsächlich untrennbar verknüpft mit Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Wissen, Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt.”

Über Tausende Jahre hatte Ernährung einen hohen Wert und war etwas Heiliges. Das Kochen und das gemeinsame Essen mit der Familie war ein Ritual, für das man sich viel Zeit nahm. Auch wenn dies heute noch in vielen Kulturen so ist, hat sich in den vergangen hundert Jahren das Essverhalten deutlich gewandelt. Lebensmittel sind zu einer Ware geworden, die gedankenlos und möglichst schnell konsumiert wird. Seit etwa 1948 gibt es Fast Food, obwohl das “Schnelle Essen” keine Erfindung der Neuzeit ist; bereits in der Antike gab es Vorgänger von Fast-Food-Restaurants. Den Begriff Fast Food haben die Brüder McDonald aus den USA geprägt, die mit der Eröffnung ihres ersten Selbstbedienungsrestaurants in Kalifornien eine neue Ära der Gastronomie einläuteten. Das Innovative daran war das Prinzip der Geschwindigkeit – Bestellen, Bezahlen und Mitnehmen, ohne Kellner, Besteck und Geschirr. Seither schreitet die Fast-Food-To-Go voran und der weltweite Fleischkonsum wächst stetig, auch wenn sich immer mehr Menschen vegetarisch ernähren –  heute sind es rund sieben Millionen deutschlandweit (lt. Institut für Demoskopie Allensbach). Eine Studie der Universität Cambridge ergab, dass die Menschen umso dicker sind, je mehr Fast-Food-Läden sich in der Umgebung ihrer Wohnung, ihrer Arbeitsstätte oder auf dem Weg dorthin befinden. Mittlerweile kann man sich auf jedem Weg mit Fast Food oder der neuen Variante “Edel-Fast-Food” versorgen: Hippe Burger-Läden bieten regionale Zutaten und höchste Fleischqualität, 5-Sterne-Restaurants Currywurst mit Champagner. Es wird immer mehr über “Gutes Essen” gesprochen, obwohl jeder zweite Deutsche sich nicht darum schert, was er isst, und nur 44 Prozent der Bevölkerung es für wichtig halten, Zeit und Geld in eine gute Ernährung zu investieren – so die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage im Auftrag der TK. Jeder fünfte Deutsche kocht nur einmal pro Woche, elf Millionen Deutsche nie. Vor allem Männer geben an, dass der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit überschätzt wird. 41 Prozent der Deutschen essen mindestens einmal pro Woche Fertiggerichte, sieben Prozent sogar täglich. Bei einem Drittel der deutschen Familie läuft beim Essen der Fernseher oder Computer, und Kochshows erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Sie sind nur ein weiteres kommerzielles Spektakel, ein Symbol für die verloren gegangene Esskultur. Im Laufe einer Sendezeit von “Das perfekte Dinner” sind an anderen Orten der Welt etwa tausend Menschen an Hunger gestorben. Die wirkliche Wertschätzung des Essens hat eine ganz andere Dimension: Bevor das Rezept kommt, ist der Mensch, der einen Apfelbaum pflanzt. Der den Apfel pflückt. Der ihn in den Handel bringt. Der genussvoll in den Apfel beißt.

Slow Food hat sich seit seiner Gründung vor fast 30 Jahren weltweit verbreitet und setzt einen Akzent zwischen Fast Food und Wohlstandsverzicht. Ein Slow Food Anhänger liebt das gute Essen, doch er ist kein Asket. Er will nicht unbedingt vegan, glutenfrei oder fleischlos leben, er will vor allem genussvoll in seinen Apfel beißen – und wissen, woher der Apfel kommt. Die Bewegung sieht das Recht auf Genuss als ein universelles Recht und betrachtet den bewussten Verbraucher als einen Ko-Produzenten, der durch seine täglichen Entscheidungen um das Essen die Lebensmittelherstellung mit bestimmt. Der bewusste Verbraucher weiß, wo sein Essen herkommt und wertschätzt alle, die dazu beigetragen haben, dass das Essen schließlich auf dem Teller liegt. Slow Food Gerichte basieren auf vollwertigen Nahrungsmitteln, die reich an Nährstoffen sind. “Slow Food ist groß im Geschmack, aber klein in der Verwendung der Zutaten”, sagt Chantal Soeters, Yogalehrerin und “Holistic Health Coach” aus Amsterdam. “Die Gerichte sind einfach, aber sehr geschmackvoll.”. Regionale und saisonale Lebensmittel sind nicht nur frischer und reicher an Nährstoffen. Auch werden die lokalen Produzenten durch die Verwendung regionaler Lebensmittel unterstützt, und somit lange Transportwege eingespart. Regional und saisonale Nahrungsmittel sind außerdem günstiger. “Wer gut essen will, braucht nicht viel Geld auszugeben.”, sagt Mariusz Rybak. “Es reicht schon, eine Speise selbst zuzubereiten, anstatt die vorgefertigte Variante zu kaufen.”.

Doch nicht nur, was wir essen, auch wie wir essen, macht den Unterschied: Fast oder Slow. Wenn wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Essen, seinen Geschmack und den sinnlichen Genuss richten, werden wir langsamer. So wie die Schnecke, die das Symbol von Slow Food ist. Geschwindigkeit, Handy oder Zeitung passen nicht zum bewussten Essen. Am besten schweigen wir auch, um das Essen wirklich schmecken und geniessen zu können. “So wie die Yogapraxis, öffnet auch der Prozess des Essens das Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment”, sagt Chantal Soeters. Genuss in Verbindung mit Bewusstheit bedeutet nicht nur, zu wissen, wo das Essen herkommt, sondern auch, auf die instinktive Weisheit des Körpers zu hören. Manche Nahrungsmittel geben uns Energie, andere schwächen den Körper und verstärken negative Emotionen. “Wenn wir verstehen, auf welche Weise unterschiedliche Nahrung wirkt, können wir die Nahrung auswählen, die unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden unterstützt.”, sagt die Slow-Food-Expertin, die selbst Slow-Food-Rezepte entwickelt. Slow Food energetisiert den Körper, hat eine beruhigende Wirkung auf den Geist und versorgt uns mit allen Nährstoffen, die wir brauchen. Im Gegensatz dazu bildet die Kombination von Salzigem, Fettigem oder Zucker, die in Fast Food enthalten ist, nur ein kurzzeitiges Glücksgefühl, das nicht lange anhält, da die Nährstoffe fehlen.

Eine saubere und nachhaltige Lebensmittelherstellung ist für Slow Food ein ganz zentrales Thema. Das heißt jedoch nicht, dass komplett auf Fleisch verzichtet werden muss. Carlo Petrini plädiert dafür, den Fleischkonsum einzuschränken, auch wenn er sich selbst als “Allesfresser” bezeichnet. Es geht ihm vor allem um die artgerechte Tierhaltung, sowie eine natürliche Düngung und Beweidung. Ein wichtiges Ziel ist, dass insgesamt weniger produziert, weniger konsumiert und weniger weggeworfen wird. “Wir müssen unseren derzeitigen Konsum reduzieren”, sagt Mariusz Rybak. “Dieser Konsum, der Mensch, Tier und Natur ausbeutet, wird durch die industrielle Landwirtschaft möglich gemacht.”. Slow Food setzt sich deswegen für die ökologische Landwirtschaft und BIO ein. Bisher liegt der Anteil der konventionellen Landwirtschaft noch bei 95% und es braucht Zeit bis die ökologische Landwirtschaft mehr Raum bekommt. Das erste Etappenziel auf diesem Weg ist für Slow Food die regionale Produktion vor Ort. Das zweite Etappenziel die naturnahe Produktionsweise. Der beste Bio-Bauer ist im Sinne von Slow Food immer der von nebenan, denn Bio-Produkte, die um die halbe Welt transportiert werden, haben nicht mehr unbedingt viel mit Bio zu tun. Wichtiger als alle Siegel und Zertifikate ist, dass man den Bauern selbst kennt. Es gibt viele Bauern, die nicht bio-zertifiziert sind, und trotzdem biologisch produzieren. Slow Food setzt sich dafür ein, dass Bio für alle Menschen zugänglich gemacht wird, dass es nicht nur in den exklusiven, teuren Läden landet, sondern auch in die Krankenhäuser oder Schulen kommt.

In Deutschland setzt sich Slow Food dafür ein, dass es mehr Essgärten für Kinder gibt, damit schon die Jüngsten mit Lust und Freude etwas über Lebensmittel lernen können. Slow Food steht dafür, dass gutes Essen in seiner ganzen Vielfalt Spaß macht, und zeigt, wie man gut und bewusst essen kann, ohne ein Asket zu werden. Mindestens dreimal am Tag, bei jeder Mahlzeit treffen wir eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen: Geniessen wir unser Essen? Macht es uns glücklich? Hören wir auf unseren Körper, anstatt dogmatisch zu werden?


Was wir tun können, um ein “Slow Foodie” zu werden:

 – Das Essen geniessen.

– Freude am einfachen Essen haben.

– Darauf hören, was der Körper gerade braucht – während unterschiedlicher Jahreszeiten und inneren Zyklen.

– Selber kochen und sich Zeit dafür nehmen. Nach Rezepten suchen, die in der Familie über Generationen weiter gegeben wurden und Rezepte verwenden, die regionale Nahrungsmittel integrieren.

– Weniger konsumieren und die Lebensmittelverschwendung stoppen.

– Regionale und saisonale Produkte einkaufen.

– Biologische Produkte einkaufen.

– Genetisch behandeltes Essen und Fertigprodukte vermeiden.

– Eigene Kräuter und eigenes Gemüse im Garten und auf dem Balkon anbauen.

– Selber kochen und das Essen und Wissen über gutes Essen mit anderen teilen.

– Mit Kindern zusammen kochen.

13 Tipps für den vollen Slow-Food-Genuss des Essens

(von Chantal Soeters)

 – Vor dem Essen: Die Augen schließen und Dankbarkeit praktizieren

– Wissen und wertschätzen, woher das Essen kommt

– Kochen als einen Akt der Liebe

– Den Prozess des Essens als eine kontemplative Praxis sehen

– Kein Handy, kein Computer, keine Zeitung beim Essen

– Mit allen Sinnen essen

– Schweigend oder mit wenigen Worten essen

– Das Essen als Geschenk betrachten und es zubereiten wie für einen Gast

– Nur bei Hunger essen

– Nicht zu viel essen

– Aufhören zu essen, bevor der Magen ganz voll ist

– Mit Instinkt und Intuition essen und auf den Körper hören

– Verstehen, was sich hinter den Gelüsten verbirgt


Slow Food
ist eine internationale Bewegung, die sich für eine lebendige und nachhaltige Kultur des Essens und Trinkens einsetzt. Sie wurde als Gegenbewegung zu Fast Food 1986 von dem Italiener Carlo Petrini ins Leben gerufen, und nahm ihren Anfang in einer Protestaktion gegen die Eröffnung einer McDonald`s Filiale an der spanischen Treppe in Rom. Drei Jahre später wurde Slow Food offiziell gegründet. Zuerst beschäftigte man sich mit gutem Wein und gepflegtem Essen, doch für den Slow-Food-Präsidenten Carlo Petrini ging es bald um viel mehr: Bewusstes Geniessen und gesunde Ernährung. Das Netzwerk, das etwa 100.000 eingetragene Mitglieder zählt und in 170 Ländern verankert ist, verbindet heute Millionen von Menschen weltweit, die sich aus Überzeugung und Leidenschaft für gutes, sauberes und faires Essen engagieren. Im Jahr 2004 wurde “Terra Madre” als ein offenes Netzwerk für eine lokale Wirtschaft durch Slow Food initiiert. Seither kommen alle zwei Jahre seine Vertreter – Bauern, Fischer und Lebensmittelhandwerker, Köche, Bildungseinrichtungen, NGOs und Vereine – zur Terra-Madre-Konferenz in Italien zusammen, um ihre Ideen und Erfahrungen auszutauschen. Carlo Petrini, der als charismatischer Kopf und Redner gilt, hat die Slow-Food-Bewegung immer wieder politisiert und zuletzt vor allem das Afrika-Engagement vorangetrieben. Der 65-jährige lebt immer noch im italienischen Bra, wo die Organisation Slow Food auch ihren Sitz hat.

Julia Johannsen

About the author: Julia Johannsen

Julia unterrichtet Yoga seit 2002 und ist inspiriert vom 5Rhythms dance und Prana Flow Yoga. Sie schreibt als Autorin für verschiedene Verlage und Magazine und arbeitet in einem kleinen Team in Berlin als Body- und Life-Coach.

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