WER ATMEN KANN, KANN AUCH MEDITIEREN

Alles, was es für den Anfang braucht, sind zehn Minuten. Zehn Minuten für das Sitzen. Zehn Minuten für das Nichtstun. Kein Smartphone. Keine Worte. Nur sitzen und da sein. Die Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen beobachten, wie sie durch die Zeit rauschen, kommen und gehen, sich wandeln.

Zehn Minuten Zeit vor dem Computer vergehen wie nichts. Zehn Minuten Zeit im Sitzen, ohne jede Ablenkung, können lang erscheinen. Der Geist ist unentwegt beschäftigt und seine Aktivität wird in der Stille noch bewusster. “Richtet man die Aufmerksamkeit auf etwas einfaches, wie z.B. den Atem, dann kann der Geist sich beruhigen.”, sagt die MBSR Lehrerin Janina Egert. “Ansonsten irrt der Geist umher und ist ganz schön durcheinander.”. Die Gedanken und Gefühle, die in der Stille an die Oberfläche kommen, sind wild: Ich wäre gern in Indien, dort ist es viel einfacher zu meditieren. Ich verschwende meine Zeit hier und habe wichtigere Dinge zu tun. Ich bin müde und schlafe gleich ein. Ich fühle mich so wütend, und kann jetzt nicht still sein. Ich glaube, Meditation ist nichts für mich… Im Buddhismus spricht man von den sog. fünf Hindernissen, die sich zunächst in den Weg stellen, wenn wir still werden und mit der Meditation beginnen: Das Begehren. Die Ablehnung. Die Trägheit. Die Ruhelosigkeit. Der Zweifel. “Das wichtigste ist, dass man sich in jeder Geistesverfassung hinsetzt. Egal ob man müde ist, viel zu tun hat, oder sich unruhig fühlt. Man setzt sich hin und beachtetet die Geistesverfassung.”, sagt der buddhistische Meditationslehrer Charlie Pils. “Es ist der Entschluss, heute an diesem einen Tag zu sitzen. Heute, an diesem einen Tag darauf zu achten, bei mir zu sein. Das ist die tägliche Wiedergeburt.”.

Sich einfach jeden Tag hin zu setzen, klingt simpel, doch es ist am Anfang der schwierigste Teil der Meditation und erfordert ein gewisses Maß an Disziplin. Deswegen empfiehlt es sich, mit einer Meditation zu beginnen, die leicht ist und in jeder Situation zugänglich: Den Atem beobachten. Der Atem ist immer da und die Achtsamkeit auf den Atem zu richten bewirkt, dass wir dort hin kommen, wo wir gerade sind, in den Körper, in die Gegenwart. Wer atmen kann, kann auch meditieren. “Die Achtsamkeit ist das Herz der Meditation”, sagt Charlie Pils. “Achtsamkeit bedeutet auch Wahrheit, und die Wahrheit sitzt nicht im Kopf, sondern im Herzen.”. Wer mit Achtsamkeit meditiert, wird, abgesehen von allen anderen positiven Effekten, ein liebevollerer Mensch werden, sowohl sich selbst, als auch seinen Mitmenschen gegenüber. Zumindest sollte es so ein. Die Kraft der Meditation ist immer auch abhängig von der Geisteshaltung hinter der Methode und Technik. Man kann auf harte Weise sitzen und den Atem beobachten, während man sich selbst für die auftauchenden Geisteszustände verurteilt oder denkt, man sei kein guter Meditierender, oder man kann es mit einem weichen Herz, in Achtsamkeit und Liebe tun. Um die Bedeutung von Achtsamkeit und innerer Ausrichtung für die Meditation zu verstehen, ist es sinnvoll, die Meditation zunächst mit einem Lehrer zu erlernen.

Entscheidend für die Integration der Meditation ins tägliche Leben ist die Regelmäßigkeit. Es hat wenig Effekt, sich nur dann hinzusetzen, wenn man sich gerade danach fühlt. Besser ist es, jeden Tag nur 5 Minuten zu meditieren, als alle paar Wochen mal für eine halbe Stunde. Die positiven Effekte der Meditation stellen sich ein, wenn man kontinuierlich über einen Zeitraum von vielen Tagen, Wochen und Monaten täglich für ein paar Momente in die Stille geht. “Durch das Stillsein verändern sich die Geisteszustände”, sagt Charlie Pils. “Die Stille hat eine transformierende Wirkung.”. Stillsein bedeutet zu sehen, was ist. In der Stille können wir zuhören, was die Gedanken, die Gefühle und unsere Körperempfindungen uns erzählen, ohne es zu bewerten. So wie der Himmel, der vom Wetter durchströmt wird, aber nicht das Wetter ist, so ist der Geist mehr als unsere Gedanken und Gefühle, weiter Raum, unendlich wie der Himmel. In der Meditation betreten wir diesen Raum, gehen in die Perspektive des Himmels, und öffnen uns für Zustand des puren Seins. “Die wahre Achtsamkeit ist das Wissen um das eigene Sein.”, sagt Charlie Pils. “Sei dir deines Seins bewusst, dann siehst du das vergängliche Leben an dir vorbei rauschen.”.

Die Städte und Landschaften, die der Reisende
aus dem Fenster des Zuges sieht,
verlangsamen den Zug nicht,
und der Zug beeinflusst auch nicht
die Städte und Landschaften.
Sie behindern sich nicht gegenseitig.
Auf diese Weise sollten Sie auch die Gedanken sehen,
die während der Meditation durch
ihren Geist ziehen.

Dilgo Khyentse Rinpoche

Einige Anregungen, die helfen können, die tägliche Meditationspraxis ins Leben zu integrieren (aus dem Buch von Jack Kornfeld: “Meditation für Anfänger”):

– Suchen Sie sich eine Tageszeit aus, die Ihnen liegt, und versuchen Sie dann, jeden Tag etwa um diese Zeit zu meditieren.

– Richten Sie sich nach Ihrem eigenen Rhythmus. Wenn Sie ein Morgenmensch sind, können Sie kurz nach dem Aufstehen meditieren. Andere Menschen finden es leichter, ihre Meditation am Nachmittag oder Abend durchzuführen.

– Suchen Sie sich eine ruhige Ecke, wo Sie jeden Tag meditieren können. Es kann an jedem Ort sein, vorausgesetzt, dass Sie dort für den Verlauf der Meditation ungestört sind.

– Benutzen Sie einen Stuhl, ein Meditationskissen oder irgendeine andere Stütze. Was immer am besten hilft, eine meditative Körperhaltung zu finden und die Aufmerksamkeit beizubehalten.

– Meditieren Sie jeden Tag 15 Minuten, eine halbe Stunde oder länger. Aber auch wenn es nur fünf Minuten am Tag sind, wird es nützlich sein, solange Sie sich verpflichten, während dieser Zeit den Atem zu spüren und die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was in diesem Augenblick ist.

– Sie können sich inspirierende Gegenstände an ihren Meditationsplatz stellen, wie ein Bild oder ein Buch. Viele Menschen, die meditieren, zünden eine Kerze an.

– Schließen sich einer Meditationsgruppe an, damit Sie durch die Gruppe und die gemeinsame Praxis in ihrer Praxis unterstützt werden. Das bedeutet nicht, dass Sie Anhänger einer bestimmten Lehrer oder Religion werden müssen.

– Die Meditation ist eine lebenslange Übung. Sie bewirkt, dass wir immer besser in der Lage sind, jede Lebenssituation mit Achtsamkeit und mehr Gelassenheit zu meistern.

– Finden Sie eine Haltung von kindlichen Offenheit für ihre Meditation, um die Wahrheit Ihres Lebens in jedem Augenblick zu entdecken.

Julia Johannsen

About the author: Julia Johannsen

Julia unterrichtet Yoga seit 2002 und ist inspiriert vom 5Rhythms dance und Prana Flow Yoga. Sie schreibt als Autorin für verschiedene Verlage und Magazine und arbeitet in einem kleinen Team in Berlin als Body- und Life-Coach.

3 comments to “WER ATMEN KANN, KANN AUCH MEDITIEREN”

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  1. Orkide - 1. November 2017 at 13:18

    schöner Artikel, vielen Dank. Ich bin jetzt sehr motiviert die Meditation in meinen Alltag zu integrieren, bin gespannt…

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