In der Bibel ist es einer der Kernsätze: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“. Meist bleibt die Aufmerksamkeit beim erhobenen Zeigefinger des ersten Satzteils hängen, und man überliest die nicht weniger unwichtige Botschaft: „…wie dich selbst!“ Möglicherweise überliest man diesen Satzteil auch, weil wir damit so schwer in Ressonanz gehen – nämlich uns selbst zu lieben. Denn tun wir das wirklich? Verwechseln wir nicht immer noch Selbstliebe mit Egoismus und Narzissmus? Dann wird es Zeit zu verstehen, dass Selbstliebe Teil eines gesunden Ich-Bewusstseins ist, und die Basis für jegliche Form von Liebe. Für ein tieferes Verständnis erlaube ich mir, den biblischen Satz anders zu formulieren: „Liebe dich selbst – erst dann liebst du deinen Nächsten“. Denn wie soll man etwas, was man selbst nicht in sich trägt, mit anderen Menschen teilen? Selbstliebe hat überhaupt nichts mit übertriebener Selbstbezogenheit zu tun, sondern viel mehr mit einem achtsamen und freundschaftlichen Umgang mit sich selbst. Mit dem Verhältnis zu uns kreiiren wir unser Leben.
Wenn du mit dir selbst streng und hart umgehst, wird sich dein Leben getrieben und wie ein ständiger Kampf anfühlen. Möglicherweise unterstützt vom Glaubenssatz, dass man sich Glück, Anerkennung und Erfolg hart verdienen muss – und dass das Leben ungerecht ist. Vielleicht bist du jemand, der im Job immer überperfekt sein will und alles gibt, sich schnell aufopfert und über seine Leistungsgrenze geht. Oder generell fällt dir „Nein“ sagen schwer … und du begegnest immer wieder Menschen, die das ausnutzen. Du gönnst dir weniger, wenn du alleine bist, bist kritisch mit deinem Aussehen und deinem Körper. Möglicherweise kompensiert du Wertschätzung, die du dir selbst nicht gibst, durch viel Anerkennung im Außen: Du brauchst Statussymbole, wie Auto, Handy oder Klamotten um dich gut zu fühlen, oder du stehst bei deinen Freunden gerne im Mittelpunkt. Vielleicht bist du selbst im Sport immer in Anspannung, im Wettkampf mit dir selbst, im ständigen Wettbewerb. Womöglich gestalten sich auch deine Partnerschaften immer schwierig, weil du immer die falschen Partner anziehst, und Beziehungen eh schwierig sind…
Und wie ist es mit deiner Beziehung zu dir selbst? Unsere kritisierenden Gedanken, ständigen Bewertungen und Glaubensätze wirken sich auf unser gesamtes Leben aus. Sie erschaffen das „innere Klima“ in uns, unsere Ausstrahlung, unsere Anziehung und erlebte Wirklichkeit. Wieviel Ruhe und Frieden ist in uns? Wieviel Gelassenheit haben wir, die Dinge anzunehmen wie sie sind? Wieviel Mut haben wir in uns, das zu verändern, was uns nicht gut tut? Wieviel Geduld und Verständnis bringen wir uns entgegen und wie gut können wir uns selbst verzeihen? Wie zufrieden und frei sind wir oder wie bedürftig und abhängig? Mit welcher Haltung gehen wir auf Menschen zu? Wenn wir Ablehnung und ständige Selbstkritik in uns tragen – welche Partner ziehen wir dann wohl an? Und wie sollen wir dann unsere Partner annehmen können, wie sie sind? Erwartungen in Beziehungen sind immer der Anfang vom Ende. Niemand außer uns selbst ist für unser Glück verantwortlich.
Die Fähigkeit wirklich zu Lieben geht nur über die Fähigkeit zur Selbstliebe. Diese muss man manchmal regelrecht erwecken, erlernen und sich antrainieren. Hier einige Anregungen zur Bewusstwerdung für einen besseren Umgang mit sich selbst: Achte auf deine Gedanken, auf dein „inneres Klima“ und verbanne den ewigen Kritiker, Bewerter und Pessimisten aus dir. Statt zu kritisieren, lobe dich auch selbst, wenn du etwas geschafft hast. Sei dein eigener, guter Freund! Immer. Stehe in jeder Situation zu dir, zu deinen Bedürfnissen, egal was andere denken könnten. Übe in wichtigen Momenten „Nein“ zu sagen und damit das „Ja“ zu dir selbst. Verändere oder trenne die Beziehung zu Menschen, die ständig deine Energie rauben. Akzeptiere deine Schwächen und Ängste – denn jeder Mensch hat sie.
Schenke dir ein Lachen, wenn du perfekt sein willst. Ernähre dich bewusst und gut. Achte auf deinen Körper und genieße es, dich zu bewegen. Nehme dir Zeit für dich – auch für ausreichend Entspannung und Schlaf. Lebe dich – deine Fähigkeiten und Träume.
Du hast immer die Wahl. Mit mehr Achtsamkeit für dein „inneres Klima“ wird sich dein Leben verändern. Du wirst es ausstrahlen. Deine Beziehungen werden sich verändern. Nicht heute, nicht morgen, aber mit der Zeit. Selbstliebe ist eine Reise zu dir, zu deiner Verbundenheit, in dein Zuhause. Sie beginnt mit deinen Gedanken und vollendet sich in deinem Handeln.
Wenn du in deinem Leben gerade alleine bist, dein All-ein-sein genießen kannst und dir selbst ein guter Freund bist, dann sind die Chancen groß, dass du andere Menschen anziehst, die auch dem Bedürftigkeitsprinzip entwachsen sind.
Falls du in Trennung bist, ist deine Selbstliebe umso wertvoller, um zu dir zu stehen, um loszulassen zu können und deinen neuen Weg alleine zu gehen, da du weißt, wo deine Kraftfelder sind und was wirklich gut für dich ist.
Wenn du in einer Beziehung bist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Liebe eine völlig neue Qualität erfährt – denn mit dem Bewusstsein, dass dein Partner nicht mehr dafür zuständig ist, dich glücklich zu machen, öffnest du die Tür und Raum für wirkliche Liebe. Dann beginnt das eigentliche Abenteuer.
Selbstliebe ist kein Ersatz für die Liebe zu anderen Menschen. Sie bedingt diese. Dein „Ja“ zu dir ist das „Ja“ zu deinem Leben, zu deinen Mitmenschen. Wenn du Fülle in dir trägst, kannst du sie verströmen. Oder anders ausgedrückt: Liebe dich selbst – erst dann liebst du deinen Nächsten.
Wenn du dich selbst liebst, bist du freier, unabhängiger und gehst in Verbindung mit deinem wirklichen Ich, mit deinem Geist und ermöglichst dir, dein höchstes Potenzial zu leben. Wenn du dich selbst liebst, kommst dein Leben in Fluß, die Türen öffnen sich und deine Begegnungen und Erlebnisse werden eine neue Qualität haben. Wenn du dich selbst liebst, veränderst du alles!