DIE INNERE FREIHEIT HINTER ÄUSSEREN MAUERN

Die Bedeutung von Yoga und Meditation in der Forensischen Psychiatrie

Der Raum der Stille ist für alle da. Für den, der einmal einen Menschen getötet hat. Für den, der gewaltsam war. Für den, der weiß, was Schmerz bedeutet, weil er Misshandlung am eigenen Leib erfahren hat. Der Raum der Stille wertet nicht und unterscheidet nicht, er nimmt jeden in sich auf und verankert ihn im gegenwärtigen Moment. „Ich würde gerne die Menschen dazu bringen, mehr im Hier und jetzt zu sein“, sagt Nahlah Saimeh.

Als Ärztliche Direktorin des Zentrums für Forensische Psychiatrie in Lippstadt-Eickelborn setzt sich Nahlah Saimeh dafür ein, dass neben den psychiatrischen und kriminaltherapeutischen Behandlungsverfahren auch Methoden eingesetzt werden, die die Verbindung zum Lebendigen stärken und fördern. Erst vor kurzem hat sie den „Raum der Stille“ erschaffen, der die Patienten dazu einlädt, ihre Playstation (Smartphones gibt es hier nicht) abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Ebenso gibt es in Lippstadt-Eickelborn Gottesdienstangebote, einen Seelsorger, ein offenes Atelier und seit sechs Jahren einen Yogakurs, an dem alle Patienten freiwillig teilnehmen können. „Es ist etwas ganz entscheidendes, dass Menschen wieder einen zweckfreien Zugang zu sich selbst bekommen.“, sagt die Nahlah Saimeh. „Beim Yoga macht die Person eine unmittelbare Erfahrung mit sich selbst. Alle anderen Therapien sind auf die Veränderung von Verhaltensweisen ausgerichtet. Aber dazu benötigt man auch einen Zugang zu sich selbst.“.

Die Forensische Psychiatrie behandelt Menschen, die in Folge einer schweren psychischen Erkrankung eine Straftat begangen haben und deswegen als vermindert oder ganz schuldunfähig gelten und nicht bestraft werden können. Es sind rund 90% Männer und 10% Frauen, die vom Gericht auf Grundlage eines forensisches Gutachtens in die Psychiatrie eingewiesen werden. Die Behandlung des einzelnen Menschen braucht durchschnittlich sieben Jahre Zeit, bis die Gerichte die Patienten aus der Forensik entlassen, weil davon auszugehen ist, dass sie keine schweren Straftaten mehr begehen werden. Neben den herkömmlichen Therapieformen wird Yoga unterstützend eingesetzt und kann auf ein ganzes Spektrum von psychischen Erkrankungen positiv wirken.

Die Bindungstheorie spielt innerhalb der Yogatherapie eine wichtige Rolle. „Wir sind alle soziale Wesen, die mit einem Bindungsbedürfnis auf die Welt kommen“, sagt die Yogalehrerin und Psychotherapeutin Melanie Pillhofer. In der Psychologie wird zwischen unterschiedlichen Bindungstypen unterschieden, wobei jeder Mensch in unterschiedlicher Gewichtung Anteile von allen in sich trägt: Der sichere Bindungstyp (ca. 60% der deutschen Bevölkerung), der unsicher-vermeidende (ca. 25%) Bindungstyp und der unsicher-ambivalente Bindungstyp (ca.15%). Während der sichere Bindungstyp seine Emotionen gut regulieren und sich selbst in Balance bringen kann, versucht der unsicher-vermeidenden Bindungstyp eher seine Emotionen unter Kontrolle zu halten, hat wenig Zugang seinem Inneren, und kommuniziert eher auf einer rational-sachlichen Ebene. Der unsicher-ambivalente Bindungstyp reagiert dagegen oft impulsiv, hat ein großes Nähe Bedürfnis und kann schwer auf eigene Ressourcen zurück zu greifen. „Für Yogalehrende ist es wichtig, sich dem Bindungsbedürfnis des Einzelnen bewusst zu sein und darauf zu reagieren.“, sagt Melanie Pillhofer. „Der Yogalehrer ist eine Bindungsperson, die immer da ist. Diese zuverlässige Verfügbarkeit kann allein schon eine heilsame Erfahrung und ein Anker sein.“.

„Trauma-Sensitive Yoga“, das mittlerweile in den USA populär ist und durch den Amerikaner James Fox inspiriert wurde, der das „Prison Yoga Project“ in 80 Gefängnissen der USA etabliert hat, bekam in den letzten Jahren auch in Deutschland einen Namen: Trauma-Sensibles Yoga. Joachim Pfahl hat auf diesem Gebiet die Pionierarbeit in Deutschland geleistet, er unterrichtet seit über 40 Jahren Yoga und Meditation an Gefängnissen und arbeitet mit Soldaten und Menschen, die unterschiedlichste Arten von Traumata erlebt haben. Gerade in den letzten Jahren ist das Thema „Yoga und Meditation im Gefängnis“ und Traumatisierung zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Es gibt internationale Netzwerktreffen und Helferflüchtlingskonferenzen, in denen das Thema Traumatisierung und der Umgang damit eine große Bedeutung hat. Der Verein „Yoga und Meditation im Gefängnis“ (YuMIG) e.V., von dem ehemaligen Häftling und Yogalehrer Dieter Gukasch gegründet, setzt sich deutschlandweit dafür ein, Yoga und Meditation als niederschwelliges Therapieangebot in Vollzugseinrichtungen zu verankern und veranstaltet die YuMIG Convention. Yoga, Meditation und Psychologie wachsen immer mehr zusammen und es wird zunehmend anerkannt, dass auch die Traumatherapie von Yoga, Meditation und anderen körperorientierten Ansätzen profitiert.

Joachim Pfahl hat in seiner langjährigen Arbeit heraus gefunden, welche Kriterien im Traum-Sensiblen Yoga wichtig sind; sie stimmen mit denen des Trauma-Sensitive Yoga überein. Es fängt schon mit dem Setting an: Ein Gefangener guckt, wenn er einen Raum betritt, immer zuerst nach dem Fluchtweg. Für alle traumatisierten Menschen ist der Aspekt der Sicherheit zentral, wobei der Hintergrund der Traumarisierung dabei kaum eine Rolle spielt. Deswegen sollte der Lehrer immer in der Nähe des Fluchtweges sitzen, so dass der Schüler gleichzeitig den Fluchtweg und den Lehrer im Auge hat und sich vor möglichen Angreifern beschützt fühlt. „Einer traumatischen Erfahrung liegt immer zugrunde, dass jemand oder etwas anders über mich bestimmt hat und ich dem ausgeliefert war.“, sagt Joachim Pfahl. „Es geht darum, Vertrauen und Sicherheit aufzubauen, damit ich lernen kann, mich selbst und meine Bedürfnisse wieder zu spüren.“. Der eigene Körper wird meist nicht als sicherer Ort wahrgenommen, weshalb es im Trauma-Sensiblen Yoga essentiell ist, dem Körper Freiraum zu geben und Grenzen nicht zu überschreiten. Dem Spüren oder Nachspüren wird genau so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Ausführung einer Haltung oder Atemtechnik selbst. „Das ist aus meiner Sicht ein Grundprinzip des Yoga, aber im heutigen Yogaangebot oft nicht mehr der Fall.“, sagt Joachim Pfahl. Das Korrigieren durch Berührung ist im Trauma-Sensiblen Yoga tabu, weil man damit Grenzen überschreiten könnte und das Prinzip von Richtig und Falsch aktivieren würde. „Ich erinnere die Schüler immer wieder daran: Du darfst, du darfst, du darfst, du darfst eine Haltung abbrechen, du darfst bestimmen und nicht ich bestimme.“. Melanie Pillhofer legt in ihrer Yogaschule Wert darauf, dass alle Klassen gemischt sind und es keine separaten „Trauma-Sensiblen“ Yogaklassen gibt, um niemanden zu stigmatisieren. „Psychisch gesund und psychisch krank, diese Einteilung mache ich nicht.“, sagt die Yogatherapeutin. „Je nach Zeit und Leben stoßen wir alle einmal an Grenzen, wo wir nicht mehr in der Lage sind für uns selbst zu sorgen. Wir haben alle das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit und wollen alle alte Verletzungen überwinden.“. Wenn es anfangs für jemanden gar nicht möglich ist, am Gruppenunterricht teilzunehmen, ist die yogatherapeutische Einzelarbeit sinnvoll.

In der Psychiatrie Lippstadt-Eickelborn gibt es Patienten, die seit mehreren Jahren Yoga praktizieren und dadurch positive Erfahrungen machen und mehr Lebendigkeit erleben. „Niemand wird durch Yoga destruktiver“, sagt Nahlah Saimeh. „Yoga läuft nicht über den Verstand. Die Patienten können durch Yoga einen unmittelbaren positiven Bezug zu sich gewinnen, den sie vorher nicht hatten. Man wird weicher und offener und dadurch auch empfänglicher für andere Methoden.“. Bisher arbeiten die Yogalehrer noch nicht mit den Therapeuten zusammen, aber das soll sich in Zukunft wandeln.

Mehr Infos:

http://yumig.de

http://www.yoga-und-meditation.com

http://www.nahlah-saimeh.de

https://de.ashtangayoga.info

About the author: Julia Johannsen

Julia unterrichtet Yoga seit 2002 und ist inspiriert vom 5Rhythms dance und Prana Flow Yoga. Sie schreibt als Autorin für verschiedene Verlage und Magazine und arbeitet in einem kleinen Team in Berlin als Body- und Life-Coach.

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